„Aufbruch“ bedeutet immer Veränderung. Mutig begibt sich das Frankfurter Webmontag-Team mit der Auswahl der Vorträge auf ungewohntes Terrain: ein Abend ganz ohne Code, mit ganz wenig Web. Ob das wohl gut geht?
Die Reise ging in den Kosmos, ins Zweistromland, auf den Riedberg, ins Jenseits und in die Tropen.
Aufbruch ins Weltall
Einen galaktischen Auftakt legte Andreas Schepers von der European Space Agency (ESA) hin: „To boldly go, where no satellite has gone before“ [Video]. Das ist Rosettas Mission – der Satellit ist auf dem Weg einen Kometen zu erforschen. Vor 10 Jahren begann der Flug Rosettas. Seitdem rast der Satellit durchs Weltall, mit einem klaren Ziel: den Kometen Tschurjumov-Gerasimenko einzuholen, ihn zu umkreisen und schließlich auf ihm zu landen.
Warum? Dazu gab es eine kleine Einführung in die „Kometenkunde“ von Andreas Schepers. Die Quintessenz: Kometen bestehen aus Materialien aus der Frühzeit des Sonnensystems: „Indem wir diese Körper untersuchen, können wir praktisch in die Kinderstube des Sonnensystems blicken.“ Beispielsweise vermuten die Forscher, dass Kometen das Wasser auf unseren Planeten brachten.
Am 20. Januar wurde Rosetta geweckt. Das erste Signal kam in Darmstadt an. Jetzt werden nach und nach weitere Systeme hochgefahren. Der Satellit ist dann immer noch mehrere Millionen Kilometer vom Ziel entfernt und bereitet sich langsam auf seine Mission vor.
Bis auf 30 Kilometer wird sich Rosetta dem Kometen nähern. Im November ist dann die Landung von Philae geplant – Der „Lander“ ist ungefähr so große wie eine Waschmaschine. Sofort nach der Landung verankert sich Philae auf der Oberfläche und sammelt mindestens 60 Tage lang Materialien. Natürlich hoffen die Forscher, dass Philae viel länger aushält.
Zwölf Jahre dauert die Mission insgesamt. Da sind natürlich ständig Software-Aktualisierungen notwendig. Dafür haben die Forscher in Darmstadt eine „Schwester“ von Rosetta stehen. An ihr werden alle Updates zunächst getestet, bevor sie dann ins All geschickt werden zur richtigen Sonde.
Folgt @ESA_rosetta auf Twitter. #wakeuprosetta
Aufbruch im Iran
Seelig ist die Wissenschaft. Sie lebt wahrlich in einem anderen Universum. Nasim Ghadimi holt uns zurück auf die Erde, noch genauer: in die Straßen Teherans. Und das mit Herzblut und mit Leidenschaft. Sie nahm uns mit in das Land, das einst die kulturelle Wiege der Menschheit war und nun seit mehreren Jahrzehnten krankt: der Iran.
„Es ist still geworden im Iran“, wiederholte Nasim Ghadimi mehrmals, „vermeintlich still“. Der Widerstand gegen die Regierung scheint zu ruhen. Viele Intellektuelle und die meisten Köpfe der demokratischen Bewegung seien systematisch verfolgt und ausgeschaltet worden. Von Nachrichtenblockade und eingesperrten Journalisten ist die Rede, von willkürlichen Verhaftungen, Folter und Exekution.
Subversive Künstler protestieren durch ihre Werke. Provokative Street Art erinnert daran, dass Protest nicht laut sein muss. Und er muss gewaltlos sein. Dafür steht „The Art of Change [Video]“ – für einen gewaltlosen Aufbruch, für ein aktives Engagement auf den Straßen. Das Herz der Bewegung ist eben nicht das Internet. Es sind die Aktivisten auf der Straße, die wirklich etwas bewegen.
Everyday Rebellion steht für gewaltlosen Protest weltweit – auf der Website gibt es Informationen und gleich mehrere Angebote, sich zu engagieren.
Aufbruch am Stadtrand
Kontrastprogramm: Vom Kampf für mehr Freiheit und Demokratie zu Entstehung eines neuen Stadtteils auf dem Frankfurter Riedberg. Der Aufbruch am Frankfurter Riedberg [Video] fordert andere Qualitäten: solide Planung, langfristiges Vorausdenken, komplexe Gestaltung, Dialog mit zig verschiedenen Unternehmen und Menschen.
Land kaufen, es erschließen, Straßen bauen, Mieter und Käufer gewinnen, mit Bauträgern verhandeln, Einkaufsmöglichkeiten schaffen – all das bringt sogar ein eigenes Vokabular hervor: von eigenständigen Siedlungskörpern und innovativen Wohnungsprodukten ist da die Rede.
Übrigens: schnelles Internet gibt es (noch) nicht am Riedberg.
Aufbruch ins unentdeckte Land
Und dann wurde es ganz still im Saal – selbst auf Twitter. Dagmar Müller vom evangelischen Hospiz in Frankfurt erzählte uns vom letzten Aufbruch eines Menschen [Video] – mit ganz konkreten Beispielen. Das klang so gar nicht pathetisch. Auch nicht schön gemalt. Sachlich, nüchtern und dennoch bewegend und einfühlsam schilderte Dr. Dagmar Müller den Ablauf im Hospiz. Dazu gehören auch ein paar Zahlen: 24 Tage verweilte 2013 durchschnittlich ein Verstorbener im Hospiz.
Es ist eine Zeit des Abschieds. Das Wissen um den Tod wird hier nicht verdrängt. Schmerzen, Angst und Übelkeit zu lindern, das gehört zu den Aufgaben des Personals im Hospiz.
Wenn ein Wunsch eines Sterbenskranken erfüllt werden kann, setzen sich die Pflegerinnen dafür ein. Ob denn auch gelacht wird, im Hospiz? „Aber sicher“, bestätigte Dagmar Müller, auch bei uns gibt es viel Normalität. Dazu gehört auch, dass wir zusammen lachen und feiern.
Das Hospiz freut sich über Unterstützung – zum Beispiel durch ein Ehrenamt oder Spenden.
Aufbruch in die Tropen
Wer hat schon mal Nudeln mit Meerwasser gekocht? Keine gute Idee, rät Andreas Herzt ab. Der ist Herpetologe und versteht sich als solcher auf Reptilien und Amphibien – also eigentlich nicht aufs Kochen.
„Brillen beschlagen in den Tropen“, war eine weitere Erkenntnis. Während seine Kontaktlinsen an einem sicheren Ort lagerten, stolperte der Kurzsichtige mühsam durchs Gelände oder suchte seine Brille im schlammigen Fluss. Der kurzweilige Abschlussvortrag des Forschers aus dem Senckenbergmuseum [Video] katapultierte uns zurück in die Welt der Wissenschaften.
Hindernisse bei Genehmigungen. Pfade auf denen Esel bis zum Bauch im Schlamm versinken. Ständig feuchte Schuhe. Ein Pilz, der nunmehr seit Jahren im Teleobjektiv der Kameraausrüstung heimisch ist. Feldforschung fordert. Wenn der Biologe aber endlich im richtigen Gebiet angekommen ist, dann schöpft er aus dem Vollen. Gefangene Tiere werden kategorisiert und einige kommen mit in die Sammlung.
Der Blog vom Senckenbergmuseum ist Besuch wert. Dort sind auch Beiträge von Andreas Hertz. Einziger Wermutstropfen: es fehlen die Social Media Buttons zum schnellen Weiterleiten und Folgen.
Ach ja: Lagerfeuer funktionieren in den Tropen nicht.
Aufbruch – das ist also, wenn eine Waschmaschine auf einem Kometen landet, Menschen auf der Straße protestieren, auf Äckern eine Mini-Stadt entsteht, wenn eine Kartoffelsuppe glücklich macht und sich Skorpione in feuchten Handtüchern tummeln.
Der 56. Webmontag hinterlässt ganz neue Gefühle – und die sind durchaus zwiespältig. Was für ein denkwürdiger Abend.
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- Aufbruch Richtung Aufbruch – Oder was bleibt vom Geek
Bilder von Clemens Riemenschneider.
Videos von Sebastian Greiner.